„Tiere an der Elsbeere“

Norbert Mayer (mit Einverständnis der Autorin Dr. Jula Werres)

Welche Tiere, sowohl Arten als auch Lebewesen mit gleichen Merkmalen, nutzen die Ressourcen der Elsbeere? Dieser Frage geht Jula Werres in einem Teil ihrer Doktorarbeit zur Tierökologischen Bedeutung der Elsbeere 1auf den Grund. Und sie  verbrachte dafür auch einige Wochen im Oktober 2011 im Elsbeerreich. Die beiden Elsbeer-Hauptstandorte für ihre Beobachtungen/Forschungen befinden sich nämlich weit weg von diesem. In Deutschland, in der Nähe von Bonn (Plantage bei Bornheim und am „Hirschberg“ bei Königswinter). 

Ich darf einen gekürzten und auf die Tiere bezogenen Auszug ihrer Arbeit mit eigenen Worten zusammenfassen:

Insgesamt konnte sie 88 Arten + 23 Morphospezies (Gesamtheit von Individuen, die in wesentlichen Merkmalen des Körperbaus übereinstimmt und sich anhand dieser Merkmale von allen anderen derartigen Gesamtheiten unterscheiden).

Folgende Arten an Hauptbestäubergruppen wurden von ihr festgestellt:

22 Wildbienen (Apiformes)
28 Schwebfliegen (Syrphidae)
28 Käfer (Coleoptera)

Zur Feststellung der Anzahl und Erkennung der Individuen (insgesamt über 4400) kamen „Klopfschirmproben“ zum Einsatz. Diese zeigten als Ergebnis eine Pflanzenfresser (Phytophagen)-Dominanz an beiden Standorten, wobei die Verteilungen der ökologische Gruppen/Gilden stark über das Jahr variieren. Im Siebengebirge („Hirschberg“) deutete der hohe Anteil parasitischer Hautflügler (Hymenopteren) auf eine höhere Spezialisierung dieser Gruppe hin sowie auf stabilere ökologische Verhältnisse und eine höhere strukturelle und floristische Biodiversität. In Folge des starken Befalls wurde die Elsbeerlaus (Dysaphis aucupariae) als sekundäre Nutzungsressource identifiziert, mit deren Auftreten die Vielfalt der Tiere (Zoodiversität) in der Baumkrone erhöht wird. Durch die Züchtung von Schmetterlingsraupen mit Elsbeerlaub wurde ermittelt, dass 17 Schmetterling (Lepidoptera)-Arten die Elsbeere als Raupenfutterpflanze nutzen. 

Bei der Frage, für welche Raupen Elsbeerblätter als Futterpflanze dienen, wurden insgesamt 35 Morphospezies identifiziert und davon 16 Arten bestimmt. Alle Arten sind polyphag (nutzen viele Nahrungsquellen) oder oligophag (nutze nur wenige ähnliche Nahrungsquellen). Insgesamt wurden 7 Familien an der Elsbeere identifiziert, absteigend nach Häufigkeit waren dies: 
Wickler (Tortricidae), Spanner (Geometridae), Eulenfalter (Noctuidae), Echte Sackträger (Psychidae), Miniersackträger (Coleophoridae), Gespinst- und Knospenmotten (Yponomeutidae) und Miniermotte (Gracillariidae).

Schmetterlingsraupen, welche die untersuchten Elsbeeren als Futterpflanze nutzten, konnten häufig nicht bis auf Artniveau bestimmt werden. Deshalb wurden diese in den Jahren 2011 und 2012 jeweils getrennt nach Untersuchungsstandort gesammelt und in mit Gaze (weicher, sehr locker gewebter, durchsichtiger Stoff) bespannte Zuchtkästen gesetzt. Mit folgendem Ergebnis:

Paraswammerdamia nebulella und Phyllonorycter corylifoliella sind oligophag an Sorbus gebunden; Amphipyra pyramidea (Linnaeus, 1758), Noctuidae; Antitype chi (Linnaeus, 1758), Noctuidae; Archips rosana (Linnaeus, 1758), Tortricidae; Archips xylosteana (Linnaeus, 1758), Tortricidae; Calliteara pudibunda(Linnaeus, 1758), Noctuidae; Cosmia trapezina (Linnaeus, 1758), Noctuidae; Ennomos quercinaria (Hufnagel 1767), Geometridae; Erannis defoliaria (Clerck, 1759), Geometridae; Eupsilia transversa (Hufnagel, 1766), Noctuidae; Lymantria dispar (Linnaeus, 1758), Noctuidae; Operophtera brumata (Linnaeus, 1758), Geometridae; Orgyia antiqua (Linnaeus, 1758), Noctuidae; Paraswammerdamia nebulella (Goeze, 1783), Yponomeutidae; Phigalia pilosaria (Denis & Schiffermüller, 1775), Geometridae; Phyllonorycter corylifoliella (Hubner, 1796), Gracillariidae; Eichenwickler (Tortrix viridana) (Linnaeus, 1758), Tortricidae

Ein besonderes Interesse gilt aber der Elsbeerlaus (Dysaphis aucupariae), da diese fast jedes Jahr zu beobachten ist und es immer wieder zu Anfragen besorgter Elsbeerbauern oder Hobbygärtnern im Elsbeerreich kommt, wie man diesen Lausbefall denn sinnvoll und naturverträglich bekämpfen kann bzw. ob der Baum damit verloren ist? Und die Antwort ist mittlerweile immer die gleiche: Keine Sorge! Einfach sein, und den Baum in Ruhe lassen. Erstens ist bei Erkennen des Befalls kein sinnvoller Eingriff mehr möglich und zweitens ist es für den Baum zwar keineswegs förderlich aber auch keine große Gefahr, wie im Folgenden zu lesen ist. Denn der Elsbeerlaus kann man aus Sicht der Biodiversität auch durchaus was Positives abgewinnen:

Die Saugtätigkeit der Elsbeerlaus erfolgt vor allem an den Blättern. Mit dem Ergebnis, dass sich die Blätter einzurollen beginnen, es einige Wochen später zum Blattfall kommt und dies durchaus auch den ganzen Baum (bis Totalverlust der Blätter) führen kann. Als beruhigend (…) kann gesehen werden, dass nur die sexuelle Frühjahrsgeneration die Elsbeere nutzt. Die Elsbeerlaus steht aber auch als sekundäre Nahrungsressource z. B. für Ameisen oder Wildbienen/-Hummeln zur Verfügung (Honigtau, Beute),wobei die Pseudogallen als physikalischer Schutz- oder Jagdraum dienen. Insgesamt erhöht die Elsbeerlaus die Biodiversität an der Elsbeere.

Fruchtfressende (FrugivorieVögel

Zur Dokumentation der frugivoren Vögel wurde vom 07.-14.10.2011 neben den beiden Standorten in Bonn ein dritter Standort in Österreich hinzugefügt – und zwar in der Gemeinde Michelbach ca. 50 km östlich von Wien im sogenannten Elsbeerreich im Wiesenwienerwald in Niederösterreich. 

Mindestens 9 elsbeerfressende Vogelarten wurden beobachtet, wobei innerhalb von 34 Stunden mehr als 400 Individuen gezählt wurden. Diese Vögel teilen sich in folgende Familien auf: 66% Drosselvögel, 27% Starenvögel, 5% Meisen, 2% Rabenvögel, 1% Sittiche. Als häufigste Arten wurden Star (Sturnus vulgaris) 27%, Amsel (Turdus merula) 21% und Singdrossel (Turdus philomelos) 16,3% beobachtet.

Bei den frugivoren Vögeln konnten Stare und Drosseln als Haupt-Samenausbreiter bestätigt werden. 

Reine Fruchtfleischfresser (Prädatoren) waren Kohlmeise (Parus major) und Kleiber/Spechtmeise (Sitta europaea).

Zu den echten Ausbreitern zählen Rabenkrähe (Corvus corone corone),  Eichelhäher (Garrulus glandarius), Star (Sturnus vulgaris), Rotdrossel (Turdus iliacus), Amsel (Turdus merula), Singdrossel(Turdus philomelos), Wacholderdrossel (ugs. “Kranawettvogel“, Turdus pilaris)

Bei den Ausbreitern unterscheidet man zwischen „Fernausbreiter“ (… die sich im Mittel nicht mehr als 37,5 m nach einem Fressaufenthalt von der Nahrungspflanze entfernen ) und „Nahausbreitern“ (… die sich im Mittel nicht mehr als 12,5 m nach einem Fressaufenthalt von der Nahrungspflanze entfernen).²

Zu den Fernausbreitern gehörten Rabenkrähe (Corvus corone corone),  Star (Sturnus vulgaris), Wacholderdrossel (ugs. “Kranawettvogel“, Turdus pilaris)

Als Nahausbreiter wurden erkannt: Rotdrossel (Turdus iliacus), Amsel (Turdus merula), Singdrossel(Turdus philomelos)

Eine Mittelstellung dazu nahm der Eichelhäher (Garrulus glandarius) ein.


Quelle: Jula Werres, Einordnung der determinierten frugivoren Vogelarten (Individuen) an S. torminalis in ökologische Ausbreitungsgilden1

Fruchtfressende (Frugivorie) Säugetiere

Interessant ist natürlich auch die Frage, welche fruchtfressenden Säugetiere sich an den Elsbeeren erfreuen. Dabei wurden von 67% der ausgelegten Früchte „abgeholt“. Und zwar zweifelsfrei mit der Wildkamera nachgewiesen:

Wildschwein
Reh
Steinmarder
Mäuse

Aus wissenschaftlicher Sicht stellt sich nun eine weitere Frage:
Welche trophischen Interaktionen ergeben sich aus dem Zusammenspiel von jahreszeitlich dargebotenen Ressourcen und ihren Nutzern, und wie interagieren die Nutzer untereinander? Viele der tatsächlichen Beziehungen können aufgrund der Komplexität gar nicht dargestellt werden oder sind nicht bekannt. So ist der Einfluss der Blütenbesucher vermutlich größtenteils positiv für die Elsbeere, da die meisten zur Bestäubung und damit zur Fortpflanzung des Baums beitragen. Vergleichbares gilt auch für die meisten frugivoren Tiere, die als Samenverbreiter fungieren. Somit sind die Beziehungen zwischen diesen beiden Gruppen einerseits und der Elsbeere andererseits durchaus mutualistisch3 geprägt.
Das Verhalten einiger Blütenbesucher und Frugivoren ist jedoch auch nachteilig für die Elsbeere, da es z. B. Fruchtfleischräuber und Blütenbesucher gibt, die weder mit Samenverbreitung noch mit Bestäubung einen Gegendienst erweisen.
Die aufgenommenen pflanzenfressenden Tiere (Herbivore) wirken einschränkend auf die Vitalität der Elsbeere, Prädatoren und Parasiten der Herbivoren wirken sich hingegen indirekt positiv auf die Vitalität der Elsbeere aus. 

Und wie die Fortpflanzungs- und Ausbreitungsstrategie der Elsbeere funktioniert und welche Rollen dabei Tiere übernehmen – auch dazu gibt es eine Antwort: 
Höchster Fortpflanzungserfolg entsteht durch Insekten-Fremdbestäubung und bei der Samenverbreitung durch Frugivorie.
Allerdings führen pflanzenfressende Tiere unweigerlich zu einer Schwächung des Baumes durch Wegfall photosynthetisch aktiver Blattmasse und/oder Pflanzensaft.

In ihrer Doktorarbeit kommt Jula Werres schließlich zu folgender Schlussfolgerung:
Da die Elsbeere Generalist ist (Baumart, die unter verschiedenen Umweltbedingungen überlebt, ohne auf eine spezifische Ressource spezialisiert zu sein), ist der Standort bestimmend für das Artenspektrum, welches die Ressourcen nutzt. 

Durch ein generalisiertes Blütensyndrom sichert sich die konkurrenzschwache Elsbeere in allen für sie besiedelbaren Habitaten den größtmöglichen und von Umwelteinflüssen weitgehend unabhängigen Bestäubungserfolg. 

Erstaunlich die Erkenntnis, dass die Zahl und Artendiversität unspezialisierter Hummeln und Honigbienen durch den Verlust natürlicher Habitate nicht oder kaum reduziert wird. Dies könnte sich auch für den Fortpflanzungs- und Ausbreitungserfolg der konkurrenzschwachen Elsbeere zu einem positiven Faktor entwickeln, da ihr unspezialisiertes Blütensyndrom (was heißt das genau?) insbesondere für diese Bestäubergilden attraktiv ist. 

Dabei sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Elsbeere erst in Regionen wie dem Wiesenwienerwald mit seinem hohen Hemerobiegrad (Einfluss des Menschen) zu ihrer besten Ausprägung kommt.

Quellennachweis

1 Zur tierökologischen Bedeutung der Elsbeere (Sorbus torminalis L. CRANTZ), Dr. Jula Marie Werres, Landwirtschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn, 2018 

² Frugivorie bei mitteleuropäischen Vögel, Dr. Holger Stiebel, Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften der Carl-von-Ossietzki-Universität in Oldenburg, 2003

3 mutualistisch = Bezeichnung für eine Form der Wechselbeziehung zwischen artverschiedenen Organismen, bei der (im Gegensatz zur Konkurrenz, zum Räuber-Beute-Verhältnis oder zum Parasitismus) beide Partner aus Strukturen, Produkten oder Verhaltensweisen Nutzen ziehen (Quelle: Wikipedia)

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